Günter Wirth
Günter Wirth

scan to plot on canvas

Ortega y Gasset, Stuttgart 1978:  "Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst".

 

"... Das  >>Veständnis<<  eines Kunstwerkes läßt Kunst in den Augen vieler Menschen volksfern, ja sogar volksfeindlich sein, einfach deshalb, weil es das Publikum einteilt.  In solche, die  >>verstehen<<  (oder angeben, daß sie verstehen), und in andere, die eben  >> nicht verstehen<< ! ..."  

 

 

David Rosenbaum, Paris, Juni 1997:  "Scan to  Plot on Canvas".

 

"Getreu seiner Prämisse "Aus Kunst wird  Kunst und daraus wieder Kunst" und treu seinem Leitsatz "Im Weglassen liegt die Kunst", benutzt Günter Wirth sein 1990 geschaffenes Bild "You are leaving the American Sector" als Ausgangspunkt und entnimmt diesem Werk kleine und kleinste Details und exprimentiert mit ihnen unter Hinzufügung von farbigen Kartons, bis zum Schluß mehr als 50 neue kleine Collagen entstanden sind. Einen großen Teil von ihnen läßt er sodann mit einem Elektronenstrahl abtasten, die ermittelten Meßwerte registrieren und zur Weiterverarbeitung stark vergrößert computergesteuert direkt auf ein Segeltuchleinen aufzeichnen. Die auf diese Art vorbereiteten bzw. "grundierten" Leinwände werden teilweise mit Folien abgedeckt und mit Acrylfarben besprüht. So ergeben sich starke Kontraste zwischen hart konstruierten glatten Farbflächen und fast informell wirkenden immens aufgelösten Rasterungen, eine neue bemerkenswerte Weiterentwicklung in dem Schaffensprozeß Wirths. Die ersten Arbeiten fanden ihren Weg in das Contemporary Art Museum der Universität von Süd-Florida, das diese neue Technik des "ink jet processes", eine amerikanische Erfindung, als Amerikanischen Beitrag auf der Graphik-Biennale in Ljubljana Slowenien präsentiert und über den Galeristen Walter Bischoff Berlin ins Goethe-Institut in San Francisco vermittelt ."

 

 

Kunstamt Reinickendorf, 4.3.1998:  "Scan to Plot".

 

"Scan to Plot  ist eine amerikanische Innovation, die Anfang 1967  in San Diego und Los Angeles entwickelt wurde. Durch sie wurde es möglich, jede Art von V0rlage digital zu bearbeiten und zu übertragen. Wirth hat dies erstmals für die bildende Kunst erarbeitet, hat seine charakteristischen Bilder, eine Synthese von informellen und konkreten Elementen, als Vorlagen hergestellt und diese digital direkt auf die Leinwand übertragen lassen. Die so hergestellten Bilder stellte er dem USF Art Museum der Universität von Süd-Florida zur Verfügung, die sie als amerikanischen  Beitrag auf der Grafik-Biennale 1997 in  Ljubljana der Öffentlichkeit vorstellte. Nun werden diese Arbeiten erstmals in Deutschland und Berlin gezeigt, in der Waszkowiak Galerie und im Rathaus Reinickendorf ..."

 

 

Günter Wirth, Berlin, 4.3.1998:  "Zu den Schautafeln" in der Ausstellung "Scan to Plot" in der Ausstellung in der Rathaus-Galerie Reinickendorf". 

 

"Die hier gezeigten Tafeln zeigen die "Reduction to only few colors", die "Eliminatin of colors and structures", den Werdegang "From concret construction by cutting parts or fragments to get more presentation", bezeichnen die "Constructions as a signal effect, as a cipher and message of lasting duration", zeigen die "Dialectical synthesis of abstract-expressionist elements with solid constructivist forms", die "Evolution of the TAILS range and compositions ´Picture within a Picture´", die "Double pictures with own paintings and such of other artists", die "Simplification of the TAILS to a calligraphic gesture", zeigen "From Art arises. From small fragments to new compositions" und "From Painting to Sculpture".

 

Die Tafeln wurden für die Retrospektive im Polk Museum of Art hergestellt und nach Beendigung der Ausstellung vom College of Fine Arts der Universität von Süd-Florida für Unterrichtszwecke übernommen. Sie zeigen die Entwicklung zu immer sparsameren Formen und Farben, wodurch durch ständige Reduzierung eine stärkere Aussage erreicht wird".

 


Werner Gocksch, Reinickendorf, 4.3,1998:  "Scan to Plot". 

 

"Der Ausstellungstitel "Scan to Plot" besagt, daß Bildvorlagen mit Hilfe eines Elektonenstrahls abgetastet, in Meßwerte übertragen werden, und diese bewirken, daß über den Computer Farben eines Tintenstrahl- Farbdruckers unter Wärmeeinfluß und hohem Druck auf eine Segeltuchleinwand (oder auch auf Papier) gespritzt werden.

 

Günter Wirth blickt zurück auf eine erstaunliche z.T. internationale Ausstellungstätigkeit. Nun verändern sich künstlerische Anliegen eines Menschen durch Erkenntnisse. Aber unübersehbar gilt auch: Ästhetische Objekte nutzen sich ab. Die Zeit un die Probleme der Menschen verändern sich. Ich verweise nur auf den Stilwandel. Kunst hat immer mit Wahrnehmung und daher mit Innovation zu tun; und solange  ein bildnerisches Phänomen nach Möglichkeien der Entdeckung, Klärung sowie Differenzierung bietet, schafft es Antriebe tätig zu werden. Um so bemerkenswerter ist es, daß Günter Wirth mit einem begrenzten Formenrepertoire, dem allerdings in Abständen recht variable Kontrastformen "dialektisch", wie er es nennt, gegenüberstellt, so interessante Bildauffassungen erreicht. 

Nun kann nicht jeder alles bearbeiten, weil Kunst jeweils an eine Person, deren Sehweise, Temperament und Ausdrucksmöglichkeiten gebunden ist. Ein Kunstwerk, mit dem die Erwartungen einer Könnerschaft verbunden ist, ist immer lebendiger und menschlich verständlicher, so lange das Suchen an Brüchen erkennbar wird. Perfektion ist immer in Gefahr, in Routine zu erstarren.

 

"Der Ink Jet Printing Prozess wurde im Frühjahr in San Diego und Los Angeles entwickelt und Ende des Jahres erstmals von mir im bildnerischen Bereich angewandt" , so schreibt Wirth in seinen Aufzeichnungen. Dabei handelt es sich um einen Tintenstrahl-Farbdrucker, einem Vervielfältigungsgerät, das über einen Scanner, also digital, auf Papier oder Segeltuchleinwand druckt. "So entstand die Serie ´Scan to Plot on Canvas´. Die ersten zwei Exemplare wurden vom USF (University of South Florida) Museum of Art übernommen, sechs weitere Arbeiten erhielt das Goethe Institut in San Francisco..."  Nur soweit hier die Dokumentation zu diesem Verfahren.

 

Bisher besteht jedoch noch die Schwierigkeit, daß man auf einen Computerfachmann angewiesen ist und bei Bildvorlagen auch auf dessen Farbsensibilität.

 

Für meine Einführung in die Ausstellung werde ich zur Annäherung an die Werke drei Wege berücksichtigen; die direkte Bildbetrachtung mit Bezügen zu deren Wirkungen, die Einbeziehung von Selbstzeugnissen sowie das Aufgreifen von erfolgten Äußerungen Fachkundiger und Kritiker.

 

Bereits 1967 hat Günter Wirth gesagt, er komme mit einer einzigen Form, einem blockhaften "O" aus. "Dieses ´O´ lasse ich", so schrieb er, "aus dem Raum in die Bildfläche vorstoßen, in immer anderen Variationen, Schnitten und Größenverhältnissen. Gelegentlich kannte ich es nach oben, unten oder an den Seiten schräg an und lasse es sich über den Bildrand hinweg fortsetzen, wodurch sich der Raum auch nach den Seiten hin erweitert".  "Dem Vorganf des Malens kommt bei mir keine Bedeutung zu. Alles Subjektive wird verbannt."

 

Zur Begründung seiner Arbeits- und Vorgehensweise sagt Wirth: "Aus Kunst wird Kunst" (1991), d.h. seine Bildvostellungen entwickelt er aus seinen vergangenen Bildexperimenten. Dabei erweitert er das Repertoire durch Anwendung der Dialektik als Arbeitsmethode, in die er Widersprüche, Gegensätze und Ästhetik einbezieht. Die Bilder pendeln zwischen Emotion und Ratio. Ergänzend führt er aus: "Seit ... Anfang der 50er Jahre haben mich immer wieder zwei Richtungen moderner Kunst interessiert und gefesselt, die ungegenständliche (informelle bzw abstrakt-expressionistische) und die konstruktivistische Kunst, ..." Damit isi ein experimenteller Umgang mit abstakten, reinen, entschiedenen Formen vorgegeben.

 

Vor einem Monat äußerte er mir gegenüber etwa sinngemäß: andere sammeln getrocknete Pflanzen und Muscheln zur Anregung, ich dagegen Schriftbilder, ungegenständliche künstliche Zeichen und Strukturen. Dazu zu zählen ist auch die Reihe der "Tails", der Leitwerke von Flugzeugen - hier japanische Marineflugzeuge des 2. Weltkrieges: konkrete Form mit spezifisch japanischen Dekor, den Staffelsymbolen.

 

Die in seinen Texten gebrachten Begriffe wie Raum, Bewegung, Zeit, Licht sind assoziativ zu verstehen und im Bild nicht konkret darstellbar, weil ein Bild eine Fläche ist.

 

Nun zum Begriff Abstrakt. Abstrakt bezeichnet etwas von Vorgestelltem oder Vorhandenem Agezogenes, eine vom Gegenständlichen absehende Kunst. Die typischen Werke Piet Mondrians machen nocham eindringlichsten Abstraktion durch die zunehmende Geometrisierung der Fornen, ausgehend von einer Baumdarstellung, deutlich. Das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, dem russischen Konstruktivisten, kann man als das konsequenteste abstrakte Bild bezeichnen. Bis auf das Format und die Farbe Schwarz ist alles, was sonst ein Bild ausmacht, abgezogen.

 

Es sei nur erwähnt, das dieses sehr reduzierte Verständnis vom Bild, von der Malerei, dem Design und auch von Architektur historisch als eine konsequente Gegenbewegung zu den überquellenden Kunstvorstellungen des Illosionismus im Barock und des Historismus bzw. Eklektizismus der Jahrhundertwende anzusehen ist: De Stijl, Bauhaus und Konstruktivismus gehörten zu den wichtigen Bewegungen. Als Stichworte nenne ich: Elementarisierung, Geometrisierung, Funktionalismus ... .

 

Ein nicht unwesentlicher nachzutragender Aspekt ist Materialgerechtigkeit: Munch bezog z.B. die Holzmaserung als Ausdrucksmittel in seine expressiven Grafiken mit ein, entsprechend Nolde das Verfließen der Squarellfarben in seinen Wasser- und Blumenbidern. Es entstehen Synthesen zwischen Material, Technik und Aussage.

 

Insofern gehören Materialwirkungen und Spuren von Techniken, die auf vielfältigste Weise erzeugt und sogar autonom eingesetzt werden, heute zu wesentlichen Erscheinungen moderner Kunst, z.B. Fred Thieler. Wir finden übrigens Entsprechungen in den mit Hilfe des Plotters hergestellten Texturen Günter Wirths.

 

Durch seine umfangreiche Ausstellungstätigkeit erhielt der Künstler viele kompetente Kunstkritiken, die er zusammen mit Selbstzeugnissen chronologisch in einem Heft geordnet und mir zugängich gemacht hat. Ich möchte daraus einen Auszug zitieren , dem ich als typisch für Menschen halte, die Schwierigkeiten mit dem Zugang zu Abstrakter Malerei haben:  Dr. Horst Glaser, "Vorläufige Bemerkungen zu Bildern Günter Wirths" , Eröffnungsrede zur Ausstellung in der Galerie 66, Hofheim/Ts., 20.10.1969:  "... Diese Malerei hat zwar auf die Abbildung des Gegenstandes verzichtet, will nichts mehr abbilden, sondern selber etwas sein;  dieses Wesen für sich aber, es harrt noch der Entschlüsselung - keiner kann´s benennen. Solche Kommentarbe-dürftigkeit  abstrakte Malerei insbesondere hat zu einer Schwemme von Kommentaren geführt, die mit den Bildern notwendig gekoppelt zu sein scheinen. Doch statt der erhofften Erklärungen treiben sie meist nur rhetorischen Aufwand. ... Man kann daraus ersehen, wenn überhaupt etwas, daß es schwierg ist, Präzises von der objektiven Bedeutung abstrakter Gebilde mitzuteilen. Was aber sollen die Bilder Günter Wirths nun bedeuten?"

 

Diese  Äußerungen nehme ich zum Anlaß, mich im folgenden um Antworten zu bemühen:  Was immer über Bilder vermittelt wird, erfolgt letztlich über ein genaues Hinsehen. Pädagogisch wird deshalb zur verbalen Bewußtmachung eine Bildbeschreibung vorgeschlagen. Doch un Zusammnhänge und Hintergründe von Form und Aussage über Kunstwerke zu erkennen, reicht das bloße Aufzählen von Tatbeständen des Sichtbaren nicht aus. Notwendig wird, sich die Wirkungen der Formen in ihren Beziehungen bewußt zu machen und dazu können Assoziationen zu allgemeinen Grunderfahrungen des Menschen, wie das Gefühl für Gleichgewicht, Spannun, Leichtigkeit, Unruhe u.a. beitragen. Diesen Bezug bestätigt auch Wirth, idem er sagt: "So steht er Bildraum gewissermaßen für unser Innerstes, wobei das Bild selbst zur Chiffre unsres Bewußtseins wird" (1967)

 

Ein Bild ist immer eine Ganzheit, analog zur Gestalt des Menschen, von daher erfährt es seine Orientierung. Doch es ist immer auch ein Symbol dafür und spiegelt ganz bestimmte Körperlichkeiten und darin eingebundenes Denken und Fühlen wieder. Lassen Sie mich einige Analogien nennen: Charakteristisch für die Gestalt des Menschen ist deine Frontalität und sein achsialsymmetrischer Aufbau. Zum Hochformat eines Bildes sind die Beziehungen offensichtlich. Jede Abweichung bewirkt Bewegungstendenz, und um die Ganzheit zu bewahren entsteht das Bedürfnis, diese durch Gegenbewegung auszugleichen. Die Architektur spiegelt in der Senkrechten das Stehen und in der Waagerechten das Ruhen als Abstraktion des Denkens.

 

Auffällig ist, daß die frühe griechische Architektur von Frontalität und Symmetrie bestimmt ist. Erst in der Neuzeit findet sich zunehmend Asymmetrie, die auch mit größerer geistiger Mobilität einhergeht. Bei der griechischen Plastik beobachten wir in der Klassik den Kontrapost (Stand- und Spielbein), der die Strenge der Symmetrie aufhebt, und die Figur bewegter erscheinen läßt, auch hierin drückt sich verändertes Bewußtsein aus.

 

Bezüge zu den Bildern von Günter Wirth machen deutlich, daß in ihnen viele Binnenbewegungsrichtungen und Kontraste auftreten, die stets sehr entschieden ausbalanziert sind. In der Formatwahl wird das Hochformat, dem Quadrat angenähert, bevorzugt, das einer recht stabilen insichruhenden Konstellation entspricht. Die Breite der Plotter-Segeltuchrolle bestimmt eine Ausgangsrichtung, die Höhe wird frei gewählt. Letztere ist aber durch die Vorlage festgelegt und leitet sich aus dem Proportionsgefühl bzw. der Proportionsabsicht des Künstlers her.

 

Ich stelle eine andere Bedingung zur Disposition:  Für das Rechteck des Formates sind vier rechte Winkel und je zwei parallele Geraden und damit stabilisierende Merkmale kennzeichnend. Entsprechendes trifft auch für die gesondert zu sehende Binnenform des "O" zu, sogar noch verstärkt durch die Öffnung in der Mitte. Der nahezu 45grat Winkel fördert darüber hinaus ein extremes Spannungsverhältnis und sorgt bewußt für Destabilisierung. Durch die sich ausgleichenden Richtungen bleibt die Ganzheit gewahrt. Eine optisch gewichtsmäßige Entlastung wird durch die Mittelöffnung der blockhaften O-Form gewisermaßen gratis erreicht. Zugleich entsteht durch die Helligkeit des Zwischenraums Transparenz, die sich zu einer tiefen- räumlichen Wirkung mit den hellen Teilen des Grundes verbindet. Die schweren, fabigen, dunkleren bzw. helleren glatten Formen bilden den Vordergrund. Wiederum eine Spannungskomponente zur Bildfläche. Hervorzuheben ist außerdem eine sehr dünne, absolut gerade Linie, die ebenfalls diagonal, überwiegend mittig die O-Form kreuzt. Sie wird aber jeweils zu den Bildrändern geführt. Dieses "Durchschneiden" wirkt zugleich wie ein Stahlseil, welches die O-Form verspannt. Formwirkungen sind danach ambivalent.

 

Ein anderer Aspekt, der überlagernd zu den kantigen rechten Winkeln und Geraden in Beziehung steht und auf körperliche Grunderfahrungen zurückgeht, beruht auf Rhythmus. Die starre Gegenkomponente wäre Takt. Rhythmisch sind alle Körperformen des Menschen angelegt, und Rhythmus findet sich auch analog in den Farb- und Formgefügen der Bilder Günter Wirths. Formen der Hände, der Füße und des Kopfes des Menschen korrespondieren untereinander und sind nicht mit denen anderer austauschbar.  Ähnlich ist es bei den Bildern; sie bedürfen einer Gesetzmäßigkeit. Für impressionistische Bilder ist ein anderer Rhythmus charakteristisch als für z.B. kubistische. Auch Leben ist mit vielfältigen Rhythmen verbunden: atmen, laufen, arbeiten, ...  Diese Tätigkeiten übertragen sich auf Formen, viele Komponenten fügen sich zusammen zu einer Gestalt, also einer Einheit. Mich erinnern die Bilder Wirths an indische Tänzerinnen, die zwar die Glieder vom Körper abspreizen, sie aber doch insgesamt zum Körper als Ganzheit zurückführen.  

 

Ein weiteres wesentlches Anliegen für die Behandlung seiner Werke ist die Raumdarstellung und zwar, wie er 1967 über seine Arbeit schreibt, "der Raum als Erfahrungswert, als Formel für die Zeit, die keine Rolle spielt". Raumwahrnehmung erfolgt an einem Bild nur durch bestimmte, die Vorstellung auslösende Mittel, die mit entsprechenden Assoziationen in Verbindung stehen und auf Illusionen beruhen, denn, wie ich schon sagte, ist ein Bild eine Fläche.

 

Nach dem Gesetz der "guten Gestalt" (Wolfgang Metzger: "Gesetze des Sehens")  nehmen wir bei zwei angrenzenden Formen, z.B. zwei Rechtecken, bei denen einem eine Ecke herausgeschnitten wurde, letzteres als dahinterliegend schichträumlich wahr, weil es sich in der Vorstellung des Betrachters zu einem kompletten Rechteck ergänzt. Auch in der Beziehung von Format bzw. Bildausschnitt und O-Form tritt bei dieser Konstellation, die in jedem Bild von Wirth angeschnitten eingesetzt ist, eine räumliche Wirkung als Binnenform auf. Auch groß-klein, scharf-unscharf bewirken Raumvorstellungen. Allen Bildern von Günter Wirth ist gemeinsam, daß sie Ausschnitte von Schwebezuständen sind. Es gibt keine Standflächen, was modernen Wissenschaftstheorien, in denen die Teile zueinander in Beziehung zu sehen sind, entspricht.

 

Es stellt sich nun die Frage:  Gibt es neben dem Interesse des Künstlers an den reinen Formzusammen- hängen,  bildnerischen Gesetzmäßigkeiten und abstrakten Experimenten auch Aussagemöglichkeiten inhaltlicher Art, die darüber hinausweisen?  Heinz Ohff überschreibt im Ausstellungskatalog der Galerie Michael Schultz, Berlin, 1992, sein Vorwort: "Am Anfang Montage, am Ende Magie". Ich sehe jedoch bei den mit dem Plotter erzeugten stark vergrößerten Bildern überwiegend Kalkül bzw. über die Technik erreichte Wirkungen, die zwar viel Expressives zeigen, das weit mehr als sonst in Wirths Bildern auftritt, aber jede Einzelheit bis zu den 10 cm großen Collagedruckvorlagen für die Digitalisierung ist bewußt geplant.

 

Bezüglich der Bedeutung der Bilder scheint mir ein bisher noch wesentlich behandelter Aspekt, nämlich der der Funktion der Schrift bzw. der Schriften zur Beachtung wichtig zu sein:  Der schon so häufig erwähnte Buchstabe "O", der eine zentrale Rolle in Wirths Werken einnimmt, entspricht nämlich in seiner Reduktion und Ökonomie rationaler Formgestaltung in der Technik, und damit ergeben sich auch Bezüge zum Zeitgeist. Der Buchstabe aber steht übertragen ebenso für Kommunikation, obwohl er in diesem Sinne an den Stellen, wo er in die Bilder eingefügt ist, nicht funktional Bedeutung hat, immerhin ist er ein Zeichen dafür.

 

Ähnlich wichtig hinsichtlich der Kommunikation sind Schriften der Berliner Sektorengrenze und der einstigen Mauer, z.B. "You are leaving the American Sector", die in die Bilder mit einbezogen werden. Sie sind auch deshalb so wichtig, weil sie zum Erleben des Künstlers gehören, und weil, wie er sagt, besonders Schriften zu seinem  Iteressengebiet zählen. Auch hier sehen wir jedoch, daß er deren formalen Bezügen große Aufmeksamkeit schenkt und von den Gestaltungsmöglichkeiten fasziniert ist.

 

Interessant ist nun an den mit dem Plotter stark vergrößerten Bildern, daß, obwohl der Tintenstrahl-Farb- Drucker eigentlich für eine größere Schärfe durch einen hohen Auflösungsgrad (über eine Million Pixel) geplant wurde, bei einer kleinen Vorlage deren Vergrößerung bewirkt, daß die Textur des Leinens und die Formen der Vorlage unscharf erscheinen, geradezu ein Umkehreffekt. David Rosenbaum beschreibt 1997 in Paris im Vorwort des Katalogs die Wirkung der Bilder:  "Die auf diese Art vorbereiteten bzw "grundierten" Leinwände werden dann mit Folien abgedeckt und mit Acrylfarben besprüht. So ergeben sich Kontraste zwischen hart konturierten glatten Farbflächen und fast informel wirkenden immens aufgelösten Rasterungen ..."

 

Mich erinnert die erzeugte Dramatik der Bilder an Bedrohung und Ängste, besonders durch ihre manchmal erzeugte Düsternis an späte Bilder von Paul Klee, wenn auch letztere rellativ kleine Formate haben. Möglicherweise tragen unsere täglichen Weltinformationen über Katastrophen, denen wir uns, und ebenso Günter Wirth, kaum entziehen können, zu dieser Überlagerung des Ausdrucks seiner Bilder mit bei."