1955: Bauingenieur-Studium+++
Um zum Studium an der Ingenieurschule für Bauwesen zugelassen zu werden, war die Bedingung, enrweder fünf Jahre lang als
Geselle in einem Baubetrieb gearbeitet und abschließend die Meister-Prüfung bestanden zu haben oder an einer Aufbauabendschule
fünf Semester absolviert zu haben. Diejenigen, die die Prüfung bestanden haben, wurden sogleich ohne eine weitere Prüfung in das
zweite Semester der Bauakademie aufgenommen. Masn hätte also ein halbes Jahr gespart. Und diesen Weg bestritt Günter Wirth.
An der Bauakademie wurde alles unterrichtet, was man als Bauingenieur braucht Günter Wirth lernte Geschichte und Gegenwärts-fragen, Vermessungskunde, Statik, Stahlbetonbau, Stahlbau, Grundbau, Erd- und Landstraßenbau, Brückenbau, Städtischer Tiefbau,
Wasserbau, Kanalbau, Eisenbahnbau und Baubetriebslehre, aber auch Hochbau. Da mußte ein mehrstöckiges Wohnhaus mit Keller und Dach entworfen werden Dazu waren 14 Zeichnungen im Forma DIN-A-2 zu machen, eine Mammutaufgabe. Für die Strecken-
führung im Esenbahnbau mußten vier bis fünf dieser Zeichnungen zusammengeklebt werden.
Günter Wirth tat sich mit drei Komilitonen zusammen, mit seinem späteren Freund Horst Kotzem (Kreuzberger), einem Moabieter und
einem noch in der DDR wohnenden Komilitonen zusammen. Jeder sollte sich eine der Arbeiten aussuchen, die sie entwerfen sollten und dann untereinander zum Kopieren austauschen. Er machte sich die Mammutaufgabe leichter , indem er von jedem eine Teilauf-
gabe machen ließ und sie dann an die Fensterscheibe heftete. Das leere Blatt kam darüber zum Kopieren. Und das alles ohne ein Reißbrett und Staffelei.
Günter hatte eine ruhige Hand und benutzte kein Lineal, mit dem es leicht zu Kleckereien kommen konnte. Er machte es völlig frei-
händig und die leicht gekrakelten Striche gaben den Arbeiten einen besonderen Charakter.
Günter hatte eine ruhige Hand und brauchte auch kein Lineal, mit dem es leicht zu Kleckereien kommen konnte. Er machte es völlig freihändig und die leicht gekrakelten Striche gaben den Arbeiten einen besonderen Charakter.
der für sich eine Teilaufgabe fertig ausarbeitete. Die Zeichnungen wurden sodann an eine Fentsterscheibe geheftet und alle waage-gerechten und senkrechten Linien mit einem Stift in Schwarz freihändig und ohne Staffelei und Reißbrett nachgezogen.
Die Mutter des Moabiter Komilitonen hatte für ihren Sohn ein Pulloverhemd aus schwarzem lederartigen Material genäht, das leicht
und schmiegsam war und sich von außen wie Samt aufühlte. Chief wollte auch so eins aber in brauner Farbe gemacht haben. Er
nannts es ´Affenhemd´ und trug es in der Ingenieurschule, in der HfBK und in seinem Stammlokal, der Kajüte.
Bei den Entwürfen machte er eigene Vorstellungen und Ortographien geltend. Die Fenster und Treppengeländer folgten dem Golde-
nen Schnitt, alle Beschriftungen wurden klein geschrieben, nur der Satzanfang wurde mit großem Buchstaben begonnen. Worte
wurden so geschrieben wie man spricht, also Querschnitt mit ´Kv statt ´Qu´, die Straßennamen auf den Stadtentwürfen bekamen
Namen von Berliner HfBK Professoren.
Der Dozent für Hochbau beschwerte sich darüber, daß er einen Studenten hatte, der seine Bauzeichnungen mit Günter ´chief´ Wirth
signierte, alles mit kleinen Buchstaben schrieb und Querschnuitt nicht mit Qu, sondern mit Kv. Er wurde belehrt, daß wir in Deutsch-
land kein Dictionary haben und der Duden ein reines Privatunternehmen sei. Darüber hinaus wäre chief eine integrierte Persönlich-
keit und könne schreiben wie er wolle.
Für ein Examen sollte man ein bekanntes Bauwerk beschreiben. Günter Wirth wählte dazu Notre-Dame. Einer Französin hat er es zu verdanken, daß er die Arbeit it einem.´gut´ abschloß und bei seiner Beurteilung ´als integrierte Persönlichkeit´ beschrieben wurde,
(Siehe 1955: Notre-Dame de Paris)
Sein 1953 von einem farbigen US-Soldatem bekommener Spitzname ´chief´ hatte ihn bis hierher verfolgt und die Kommilitonen und
verschiedenen Professoren nannten ihn auch nur `chief´.
Einer der Dozenen war gleichzeitig Professor an der Pädagogischen Hochschule in Lankwitz (Abteilung 2 für Berufsschullehrer) und
war nicht wie Günter Wirth ausgebildeter Statiker Er unterrichtete Meister aus verschiedenen Berufen, wie z.B. Glaser, Elektriker, Maurer, Fliesenleger und anderen Bauberufen in der Errichtung von Dachbindern für Häuserdachböden und wie man sie statisch
berechnet.
Es war wie Günter Wirth es nannte eine ´Schmalspurstatik`. Dem Professor war es peinlich, einen ausgebideten Statiker mit fünf
Semester Statikstudium unter seinen Zuhöhrern sitzen zu haben. Wenn sich Günter Wirth einmal in seiner Vorlesung blicken ließ,
rief er ihm shon in der Tür zu "chief, hau ab!´.
Günter Wirth brauchte auch nach Abschluß des Lehrganges kein Modell eines Dachstuhls anfertigen, wie die anderen Studenten.
Dadurch hatte Günter Wirth viel freie Zeit und trieb sich stattdessen im Haus Nr.1 bei den Mädels rum, die frisch vom Abitur zur PH kamen, um Kunstlehrerin zu werden. Der Professor war ein Kollege von chief. Er kannte ihn aber nicht persönlich, nur seine Bilder, die in der Industrie- und Handelskammer in der Hardenbergstraße mit seinen zusammenhingen. Während der Kollege die Mädchen
mit dem Abzeichnen von kleinen Objekten oder Blumen beschäftigte, machte er die Abstraktionen nicht mit, sondern malte sein erstes Konkretes Bild mit Acrylfarben auf einem mit Leinwand überzogenen Keilrahmen. Später ging er als Gastschüler der HfBK in
die Klasse für angewandte Kunst der Professoren Bergmann/Hölzmann, oder in die Bibliotek der HfBK um sich um die Ecóle de Paris zu Informieren.
An der Ingenieurschule gab es auch für die Studenten der Abteilungs 1 das Fach Kunstgeschichte bei Professor Werner Goksch.
Günter Wirth schaute nur ein einziges Mal rein. Da stritt man sich in der Vorlesung über Leonardo da Vinci, Michelangelo und El Greco "Was soll das? Was hat er sich dabei gedacht? " usw. Kein Wort über die Erfindung der Zentralperspektive oder des Diago-
nale
Diagonalen
BAUSTELLE
soll das? Was hat er sich dabei gedacht" usw. Kein Wort über die Erfindung der Zentralperspektiv oder des Diagnalen Bildaufbaus! Was hat der Maler der Mona Lisa sich bei dem Lächeln gedacht? " Günter sagte "Garnichts, ihm ist nur der Pinsel ausgerutscht und da das Ergebnis ihm gefiel, ließ er es so und verfeinerte es nur noch".
Günter Wirth war als Gaststudent an der HfBK bei den meisten Vorträgen Will Grohmann´s dabei. Man hörte ihn schon dozieren,
wenn er die Teppe raufkam.
Seit 1954 hatte Günter Wirth dann in Berlin und während der Sommerferien in Neapel für drei Monate ein Atelier und .besuchte ehe-malige griechische Kolonien in Süditalien und Sizilien, machte auch einen kurzen Abstecher nach Carthago in Tunesien.
ENDE