1954: Tuillio Pellone ***
Günter Wirth war in Neapel auf dem Coro Umberto in sengender Hitze unterweges und rettete scin in das immer kühle Universitäts- gebaüde und setzte sich auf eine der Bänke in Flur unm sich auszurruhen. Er machte den kürzlich aus Berlin erhaltenen Brief seines Vaters auf und begann ihn zu lesen. Auf einer Nebenbank saßen zwei Studenten. Sie warteten auf irgend ewas. Einer blickte zu Günter und bemerkte die fremden Briefmarken auf dem Briefumschlag. Er kam zu ihm und bat, sie sehen zu dürfen. Es waren natür- lich Berliner Markem und die interessierten den Studenten sehr. Er stellte sich Günter vor. Es war Tuillio Pellone, ein Briefmarken-
sammler, der auf der Nebenbank gesessen hatte und auf sein Examensergebnis wartete. Sie unterhielten sich und verabredeten sich für den nächsten Tag zum Baden gehen. Tuillio gab Günter seine Adresse und bat, ihn dort am frühen Vormitag abzuholen. Die Adresse war oben auf dem Vomero. Günter war ja erst zwei oder drei Tage in Neapel und noch nicht mit den Verkehrsmitteln vertraut.
Am nächsten Morgen wartete er auf dem Corso Umberto auf seine Busnummer. Auf der gegenüber liegenden Seite kam einer nach dem anderen, auf seiner Seite auch, aber nicht einer mit seiner Nummer. In Neapel führen die Buslinien immer den gleichen Weg und am Bahnhof vorbei. Sie haben an ihrer Vorderfront einen abnehmbaren Briefkasten hängen, der am Bahnhof von einem Bediensteten
abgenommen und enleert wird und durch einen anderen leeren ausgetauscht Das ist sehr praktisch und ersetzt Briefkästen an den Häuserwänden. Daß Buslinien aber auch wie Einbahnstraßen geführt werden können, wußte Günter zu der Zeit noch nicht. Es war aber so und er wartete vergebens. Als er dann geschnallt hatte , war es viel zu spät geworden, um noch pünktlich zu Tuillo zu kom- men.
Günter Wirth suchte und fand das Haus mit der aufgeschriebenen Adresse. Es war ein ganz neues Gebäude, wie es sich später her- austellte, der Sommersitz der Familie. Tuillio war nicht mehr da, weil er annahm. er sei von Günter versetzt worden Aber seine Eltern baten Günter Platz zu nehmen und brachten ihm ein kaltes Peroni Bier. Der eigentliche Wohnsitz der Pellonis war ein altes ganz pompöses Haus am Corso Umberto No.1 an der Piazza G. Borio. Als Günter Tuillio einmal dort besuchte, mußte er warten, bis der
Portiere die Erlaubnis bekam, ihn eintreten zu lassen.
Tuillio hatte eine Briefmarkensammlung vom Allerfeinsten. Er sammelte u.a. Großbritannien und immer in Viererblöcken. Das wollte er nun auch auf Westberlin, das ein abgeschlossennes Sammlergebiet war, ausdehnen. Als Günter wieder in Berlin war, mußte er viele Briefmarkenhändler abklappern, um vor allem von älteren Ausgaben noch Bogenware vorzufinden, aus denen sich Viererblöcke
heraustrennen ließen.
Tuillio hatte einen jüngeren Bruder, ein sehr lebendigen Kerlchen.. Er war irgendwie in der Damen-Kleider-Branche beheimatet und wollte nun, wo die Familie einen Berliner kannte, unbedingt in Berlin ein Geschäft für Brautkleider aufmachen. Er ließ sich von dieser Idee nicht abbringen. Aber Günter mußt ihm diesen Zahn ziehen. Er wollte einfach nicht begreifen, daß Berlin noch 1954 ein riesiges Trümmerfeld war und die Bewohner ganz andere Sorgen hatten als in Brautkleidern zu heiraten.
Als Heinrich und Clara Wirth 1954 nach Neapel kamen, um Günter nach Hause zu holen, machte Günter seine Eltern mit Tuillio und seiner Familie bekannt. Besonders Tuillios Vater verstand sich mit Heinrich Wirth ganz ausgezeichnet. Die Pellones hatten in der Um-
gebung von Neapel einen Grundbesitz. Ob es eine Plantage oder ein Baugelände war, kann Günter nicht sagen. Aber daß sich der Ökonom Heinrich mit Herrn Pellone so gut verstand und sie intensiv miteinander sprachen, läßt darauf schleißen, daß es sich um das letztere hehandelt haben muß. Die Pellonis luden die Famile Wirth jedenfalls ein und fuhren mit ihnen hinaus.
Der Briefkontakt zwischen Tuillio und Günter bestand noch zwei oder drei Jahre, das Haus Corso-Umberto Nr.1 mußte dem U-Bahn-
bau Neapels weichen und war verschwunden, als Günter mit Edmund 1959 an dieser Stelle fotografierten und Günter mit Ninetta ein
Wiedersehen hatteh. (siege Blog 1959: Ninetta !)