1950: Notstandsarbeiter***
Vom Arbeitsamt hatte Günter Wirth nun endlich als Arbeitsloser eine Notstandsarbeiterstelle bei einer Weddinger Straßenbaufirma Otto Baumann in der Exerzierstraße, Wedding.erhalten. Da für die vielen Notstandsarbeiter kaum Arbeit vorhanden war standen sie mit Schippe und Axt ´Gewehr bei Fuß´. Die Gesellen ließen sich von zwei oder drei Arbeitern alles in die Hand geben. Die zu legen- den Mosaiksteine (Mussolinos) wurden von einem Arbeiter in Karren herbeigeschafft und neben die Knieenden in langen Reihen hingekippt. Weiter hinten wurde der Boden von Arbeitern mit Sand planiert. Die übrigen Arbeiter standen da und sahen den Arbeiten-
den zu. Von ihnen und den Gesellen erhielt Günter Wirth wegen seines derzeitigen Haarschnitts den Spitznahmen "Bürste".
Als auf der Tauentzienstraße (umgangssprachlich: Der Tauentzien) eine Hauptverkehrsader zwischen Charlottenburg und Wilmers- dorf und mit dem weltbekanten KADEWE die
Schienen der Straßenbahn erneuert wurden und die einzelnen Traversen mit Manns-
felder Kupferschlackensteinen ausgepflastert werden mußten, warfen sich die Arbeiter die groben und rissartigen Steine in langer Kolonne zu. Dazu gehört ein
gutes Sehvermögen zum Werfen und Fangen der Steine, um Verletzungen zu vermeiden. Aus dieser Tätigkeit entwickelte sich ein besonderer Sport, ein Duell, wo
sich die beiden Kontrahenten in wenigen Metern Abstand gegenüber standen und sich gegenseitig die Steine zuwarfen. Ein Ausweichen durfte nicht sein. Man konnte aber
versuchen, den heranfliegen- den Stein mit dem eigenen zu treffen, ihn abzuschießen.
Wie die Gesellen nach 3/4 Stunden Arbeit eine "Fünfzehn" machten, um ihren Rücken wieder gerade zu bekommen, machten es die Arbeiter ebenfalls. Günter Wirth setzte sich dazu oft auf die eiskalten Granitstufen der Kadewe-Ruine und holte sich dabei fürchterlch juckende Hämorirhoiden. Daran mußte er leider Jahrelang leiden. Als die Kolonne an den Gleisen der Straßenbahn an der Ecke Tau-
oggener / Osnabrücker Straße arbeitete, stieg Ali, sein ehemaliger Mathe-Lehrer dort auf der Heimfahrt nach Schulende ein. Als er Günter Wirth unter den Straßenarbetern erblickte, ging er von da an lieber eine Station weiter. Am Fehbelliner Platz stand Günter mit
der Brechstange an der Bordsteinkante, als Gerhard Ludwig, ein ehemaliger Mitschüler ( noch von Preußisch-Holland her) auf dem Weg von seiner Dienststelle im Verwaltungsgebäude nach Hause vorbeikam, ihn sah und nicht einmal grüßte. Günter nahm sich vor, ihm beim nächsten Mal die Brechstange vor die Füße fallen zu lassen. Er kam aber nie mehr vorbei.
In der Neuen Kantstraße mußte die durch Bomben und Panzerketten zerstörte Asphaltdecke erneuert werden. Dazu mußte erst die gesamte alte Sraße aufgerissen und abtransportiert werden. Danach wurde der Sandboden planiert und mit Findlingen geflastert. Auf diese Befestigung kam eine dicke Schotterschicht und wieder Sand. Dann wurde an Stelle von Teer, der verboten worden war, eine Bitimenmasse, ein Erdölprodukt, gekocht und knieend von Facharbeitern aufgetragen und mit Brettern glatt gestrichen. Die
Decke wurde manchmal wurde noch mit Sand abgedeckt und mir einer Walze überarbeitet. Für diese vielen Arbeitsvorgänge mußten zahlreiche Aufmaße und Zeichnungen, sowie Mengenberechnungen gemacht werden. Dafür holte sich der Polier den Abiturienten Günter Wirth.
Am 1. Mai war es damels 1951 noch üblich, den Feiertag zusammen zu feiern. Die Notstandsarbeiter waren einbegriffen. Auf dem
Betriebshof in der Exerzierstaße wurde ein Riesenzelt errichtet und lange Reihen von provisorischen Tischen mit Gartenstühlen auf-
gestellt. In einer Tischreihe neben der, an der Günter Wirth Platz genommen hatte, saß der Inhaber der Firma Otto Baumann, ein
ein Regierungsbaurat ´von der Eye´ mit Polieren zusammnen. Ein Polier sagte ihm, daß in seiner Kolonne sogar ein Abiturien war.
Das interessierte den Baurat und er lies Günter Wirth zu sich an seinenTisch kommen. Er hörte von ihm, daß er Architekt werden wolle und vergeblich eine Lehrlingsstelle als Maurer suche. Da meinte ´von der Eye´, daß er für Zulassung zum Studium nur einen
Gesellenbrief vorweisen müsse und den auch in seiner Firma Otto Baumann als Steinsetzer machen könne. Und so beschloß Günter
Wirth, Steinsetzer zu lernen. Der Baustadtrat stellte Günter Wirth als Lehrling ein und rechnete ihm sogar die Zeit als Notstandsarbeit
als Lehrzeit an. Das war das große Glück für Günter Wirth und ein großer Zeitgewinn. Er machte seinen Gesellen mit Ach und Krach.
Einen Tag vor der Prüfung ließen sie ihn noch die schweren Straßenbordsteine bewegen und richtig einbetonieren, eine Arbeit, die er
noch nie gemacht hatte.
Noch vor der Gesellenprüfung hatte ihm der Geschäftsfürer Hinkelman von Otto Baumann für drei Monate eine Aufgabe erteilt, im Ganzen Bezirk Wedding in allen Straßen alle paar Meter Baumkränze zu plafstern für die von England gestiftete jungen Bäume. Auf Grund, daß Günter älter war führte er ihn nicht als Lehrling, sondern als Gesellen und gab ihm einen wirklichen Lehrling (16) als
als Gehilfen zur Seite. Die zwei bekamen eine Schubkarre mit Sand, Kleinflastersteinen, Ramme und schoben los.
am Was da Günter Wirth so alles in der Acker- und Feldstraße, vor allem in Nähe der Schrippenkirche passierte, in einem anderen Block.
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ENDE (fertiggestellt am 15.8.2018)