1900: Clara Else Gertrud Wirth, geborene Ölberg. ***
Clara "Clärchen" Wirth, geborene Ölberg, (5.11.1900-18.7.1988) wurde am 5. November 1900 in Berlin-Charlottenburg als zweites Mädchen nach ihrer Schwester Hanna, von Luise und Karl Ölberg geboren und am 25. Dezember 1900 in der Trinitatiskirche auf die Namen Clara, Else, Gertrud Ölberg getauft.
Die Familie Ölberg wohnte in einem Charlottenburger Eckhaus im 3. Stock des Vorderhauses Tauroggener Str.40 / Mindener Str. 22.
Es war eine Dreieinhalb-Zimmerwohnung. Das halbe Zimmer, eine Mädchenkammer, hatte Karl für sein Hobby, der Aufzucht von Kanarienvögel gewählt. Da standen die Käfige dicht an dicht, von der Flurwand bis zur Hofwand, vom Fußboden bis zur Decke des
Zimmers. Für Wohn- und Schlafzimmer baute und drechselte er alle Möbel selbst.
Clara Ölberg wurde 1906 in der Vierten Gemeindeschule in der Eosanderstraße (heute: Eosander-Schinkel-Grundschule) einge- schult und besuchte nach Abschluß die Charlottenburger Städtische Mädchenfortbildungsschule mit beruflicher Fachbildung. Vom 11. 10. 1915 bis zum 31. 1.1917 war Fräulein Clara Ölberg im Kaufhaus des Westens, zuerst ein Jahr als Lehrmädchen, aldann als Verkäuferin am Wirtschaftslager. Am 2. Februar 1917 geht sie zu Siemens & Halske. Im Wernerwerk wird sie als Scheiberin in der Werkstatt beschäftigt. Am 30. 9. 1918 gibt sie die Stellung auf fängt am 7. Oktober 1918 an der Kasse der Ortskrankenkasse der Mechaniker, Optiker und verandtem Gewerbe als Bürogehilfin an. Am 30. November 1923 wechselt sie zu A. Wertheim und wird vom 11. Februar 1924 bis zum 30. April 1929 als Verkäuferin in der Abteilung für Parfümerie und Seifen tätig.
Clara lernte den Geometer-Lehrling Heinrich Wirth kennen. Sie machten zusammen viele Reisen. Am 11. Mai 1929 fand die Heirat statt. Sie zogen jungvermählt in der Wohnung von Carl und Luise Ölberg in der Charlottemburger Tauroggener Straße 40 ein.
Am 22.1.1932 wird ihr Sohn Günter Wirth geboren. Nach der Geburt erkrankt sie unheilbar, wird zunehmend schwerhörig, auf einem Ohr taub. Clara besucht mit Heinrich einen Arzt nach dem anderen und gab ein Heidengeld aus. Alles umsonst. Erst ab 1940 ka-men elektrische Hörgeräte in allgemeinen Gebrauch, konnten aber nur bei moderatem Hörverlust helfen. Übrig blieb nur ein ein-faches, trichterförmiges Hörrohr. Mit einem solchen war schweres Umgehen, denn man mußte es dem Gegenüber ziemlich nahe nahe an den Mund bringen. Im Bekannten- und Freundeskreis ging es ja noch, aber ein Einkaufen war höchst unangenehm .Clara zog sich mehr und mehr zurück und wurde zunehmend weltfremd. Heinrich half wo er konnte und machte alles im Haushalt und in der häuslichen Verwaltung.
Karl starb am 22.April 1934 und Luise lebte nun mit Clara, Schwiegersohn Heinrich und Enkelkind Günter Wirth allein in in der so großen Wohnung
Aber dann kam der Krieg und Heinrich Wirth mußte ins Feld.
Clara und ihre Mutter Luise waren nun allein auf sich gestellt und mußten für Günters Fortkommen in der Schule sorgen. 1942 wurde
seine Friesen-Oberrealschule nach Preuißisch-Holland in Ostpreußen evakuiert und beide begleiteten ihn dahin. Sie waren bei einer Arztfamilie Dr.Heinrich auf einem Dachboden untergekommen und verlebten mit Frau Heinrich und ihren 4 Kindern einen schönen Sommer mit Ausflügen in die Masuren. Mit der Gesellschafterin Herta Hoppe freundete sie sich besonders schnell an.
Ihr Ehemann Stabswachtmeister (Stabsfeldwebel) Heinrich Wirth wirth mit seiner OKH-Abteilung nach Saaleld in Thüringen versetzt und erhält in den Sommerferien Ostpreußens 1942 seinen Sohn Günter Wirth zu Besuch. Er läßt ihn nicht nach Preußisch-Holland
zurückkehren, behält ihn im OKH. Dann lässt er seine Frau und Schwiegermutter nach Saaldeld kommen, schult Günter im dortigen Gymnasium ein, erhält eine Einzimmerwohnung zugeteilt. Clara´s Freundin Herta Hoppe folgt zu ihnen nach Saalfeld. Das OKH in
Saalfeld wurde aufgelöst, Heinrich Wirth schlug sich zu den Amerikanern durch, wurde gefagen genommen und kam ins Todeslager in den Rheinwiesen.
Clara mußte nun mit ihrer Mutter, ihrem Sohn und ihrer Freundin das Kriegsende und die Besatzungszeit der Amerikaner erleben. Da
Heinrich Wirth schwer erkrankte, seine Familie im amerikanisch besetzten Saalfeld wohnte, wurde er aus der Gefangenschaft nach Saalfeld entlassen.
Da Thüringen nach Vereinbarung der Alliierten den Sowjets zugespochen war, wurde Saalfeld nach sechs Wochen von den Amerika-
nern den Sowjets übergeben. Das war gut so. Saalfeld und Berlin waren sowjetisches Besatzungsgebiet und so durfte die Familie Wirth zurück nach Berlin in ihre Heimat.
Die Stadt hatte sich verändert und war ein einziger Trümmerhaufen. Clara fand ihr altes Haus als Ruine vor. Der Hauseingang war mit dem linken Seitenhausflügel verschwunden. Von ihrer Wonhung im dritten Geschoß konnte sie nur die rechte stehengebliebene Küchenwand mit Wanduhr, und in der offen stehenden Speisekammer mit den gefüllten Einweckgläsenr sehen. Der Schuttberg des Seitenflügels und Treppenhauses reichte bis über das zweite Geschoß hinauf.
Clara war nun mit ihem Mann Heinrich, ihrer Mutter Luise Ölberg, ihrem Son Günter und ihrer Freundin Herta zu fünft. So wurde ihr
im Eckhaus in der Mindener Straße 22 ein im ersten Stock liegendes ´Berliner Zimmer´ zugewisen. Die Fenster hatten keine Schei-ben mehr und waren mit Holzbrettern vernagelt. Die Lichtleitung und der Ofen waren zerschossen. Es war kalt und dunkel. Die Küche hatte nur noch die Wand zum Hof hin, die zum Flur hin war nicht mehr da, man hatte sie bereits als Schuttberg fortgeschafft. Nun mußte sich Clara mit dem Eigentümer der Wohnung über eine gemeinsame Nutzung verständigen, was hervorragend klappte. Das Berliner Zimmer bekam zwei Ehebetten und eine alte Couch, die Couch für ihre Mutter, ein Bett für sich und ihrem Mann, das andere für Günter und Herta. Günter wurde wieder in seiner alten Schule angemeldet, ihr Mann reparierte die Fenster und fand Arbeit in einer Gaststätte und reparierte dort sämtliche Türen und Fenster.
Dann durchbrach er oben im dritten Stockwerk die Wand der Flure, die an ihem Ende zusammen stießen, erweiterte den Durchbruch und setzte eine Tür ein. Clara konnte ihre alte Wonung besichtigen. Heinrich Wirth machte eine Grundrißzeichnung der Wohnung und wie sie wieder bewohnbar gemacht werden kann. Das Bauamt simmte zu und so wurde auf einem tragfähigen Querbalken eine Rabitzwand aus Holzleisten und mit Glaswolle gefülltem Drahtgeflecht gezogen. Allerdings war nun nur noch das Klosett und die Wand zur Mädchnenkammer vorhanden. Der Ofen und die Badewanne blieben außen vor der Zwischenwand. Der Flur wurde eben-fals zumTrümmerfeld hin mit einer 6 cm Backsteinmauer abgeschlossen und mit einem winzigen Fenster versehen.
Als Claras Mann 1954 im Rathaus Schöneberg wieder als Beamter eingestellt wurde und somit ein festes und relmäßiges Gehalt in
Aussicht stand, wollten Heinrich und Clara ihre Hochzeitsreise von 1929 nach Venedig wiederholen. Heintich gab seinem Sohn etwas
Geld und er sollte sich selbständig machen und sein Reiseziel selbst aussuchen. Günter Wirth nahm sich den Atlas und entdeckte den Golf von Neapel und seine Umgebung, wie Pompeji, Herculaneum, Sorrent, und Capri. Und sein Entschuß stand fest.
Heinrich Wirth nahm an daß sein Sohn das Geld verbraten würde und spätesten nach zwei Wochen abgebrannt wieder nach Hause käme. Als Clara mit ihm aus Vendig zurück kam und er noch nicht da war, packte sie und Heinrich die Unruhe . Heinrich beschloß ihn in Neapel zu suchen und somit mit seiner Frau noch einmal nach Italien zu fahren, aber diesmal nicht nach Venedig, sondern nach Neapel, um seinen Sohn nach Hause zu holen. Er will die Fahrkarten bestellen, da bekommt er überraschend Besuch vom
norwegischen Attachée General Collin. Seine Frau Violet war an Brustkrebs gestorben und da Günter Wirth ihr zweiter Sohn gewor-den war, wollte er es Günter mitteilen. Die beiden Offiziere verstanden sich sofort und als Collin hörte, daß Heinrich Wirth nach Neapel fehren wollte, bat er ihn, seinen Sohn Frederick dahin mitzunehmen. Er als vielbeschäftgter Diplomat konnte sich nicht um
Frederick kümmern. Also bekam Clara einen Mitbegleiter.
Auf der schönen Fahrt durch die Bergwelt Österreichs ärgerte es Clara, daß Frederick keinen Anteil daran nahm und nur in seinem Comic las. Als sie das dann später Günter erzählte, mußte er seine Mutter beruhigen und ihr sagen, daß Frederick in Südamerika als
Sohn eines Attachées bereits viel schönere und größere Berge gesehen hatte.
Clara und Heinrich nehmen am Bahnhof Neapel ein Taxi und zeigem den Fahrer die einzige Adressse von Günter Wirth. Der Fahrer fährt die drei Insassen zur Via Mezzocannone Nr.3 (Halbe Kanone). Günter Wirth sitzt gerade in des Mittags Glut auf einem Stein vor der Haustür. Frederick, Clara und Heinrich steigen aus dem Wagen, Günter ist überrascht. Damit hätte er nie gerechnet.
Er fährt mit ihnen vier Treppen rauf und lauft eine weiter Etage zu Fuß zum 5. Stock auf dem Dach des Hauses. Ihnen zeigt er sein Zimmer und macht sie mit drei Professoren bekannt, die ebenfalls gleichzeitig zufällig eintreffen und sein letztes Bild "A Marechiaro
ce sta´na fenesta" (In Marechaiaro, dort gibt es ein Fenster ) begutachten wollten.
Er erklärt ihnen das Bild und die angewandte Technik. Als sich die drei Besucher verabschiedet hatten. Ging Clara mit Heinrich und
ihrem Sohn auf Besichtigungstour. Günter wollte seinen Eltern seine Freundin Ninetta vorstellen und schlug den Weg durch die Alt-
stadt in Richtung der Slums am Bahnhof ein. Frederick ging nicht mit und nahm einen anderen Weg. Auf dem Weg dahin wurden sie, was nicht weiter verwunderlich ist, ständig von vielen Kindern begleitet und umringt. Plötzlich springt sie ein Knabe an und ent-
wendet ihr aus der Schürzentasche die Batterie für ihr Hörgerät und läuft davon. Oh,Schreck, was soll sie nun mit einem Hörgerät
ohne Batterie? Clara kommt schließlich zu der Garage, in der die Familie Ninettas lebt. Sie war entsetzt, Günter hatte sie nicht da-
rauf vorbereitet. Ninetta(11) begrüßt Heinrich Wirth. Vincenzo, Ninettas Vater kommt hinzu und als er erfährt, was unterwegs vorge- fallen war, genügte eine kurze Frage an die umstehenden Jungen. Einer von ihnen stürmt davon und kommt mit der Batterie zurück
Clara war froh. Alle drei bedankten sich. Nach ein paar höflichen Worten und Gesten verabschiedeten sie sich und setzten ihre Tour
fort.
Clara besichtigte noch Pompeji und Herkulaneum, dann wollte sie endlich einmal Erholungsulaub machen. Heinrich Wirth besorgte
Fahrkarten und Hotelbuchung in Rimini an der Adria. Zu viert ging es also los. Günter Wirth fand Rimini einfach scheulich, sodar die Straßenschilder waren bereis in Deutsch. Da er faul war, sich nach dem Baden abzuduschen, zog er sich einen fürchterlischen Son- nenbrand zu, der ihn noch in München quälte.
Clara wollte noch die Republik San Marino sehen. Sie liegt auf einem Berg in der Nähe von Rimini, hat die italienische Währung in Lire. Günter kam sogar auf seine Kosten und erstand auf dem Postamt von San Marino eine gerade neu erschienene Luftpostmarke in 500 Lire (etwa 3,50 DM) die er Jahre später für mehrere 100 DM verkaufte. San Marino fanden alle interessannt und sehenswert.
Dann ging es heim nach Berlin. Wieder Umsteigen in Rom und München. In München lag bereits Schnee und es war sehr kalt. Für
Clara war diese Reise eine kleine Strapaze und sie war froh wieder in ihren vier Wänden zu sein.
Anfang der 70er Jahre wurde Heinrich schwer Krank, kam in das Krankenhaus Spandau. Günter kannte den Chefchirurg, der ein Clubkamerad von ihm im der CLIO war, einem Zinnfigur-Sammlerclub, der sich monatlich im Rathaus Charlottenburg traf. Er nahm selbst die Operation vor. Heinrich war total verkrebst. Mit 40 Zigaretten täglich und sogar nachts zum Rauchen aufstehen, garkein
Wunder. Der Arzt gab ihm Günter gegenüber noch drei Monate und er wurde nach Hause entlassen. Clara pflegte ihn und sie nutzten
die Zeit und machten eine Kurzreise nach der anderen innerhalb Deutschlands. Günter fuhr sie immer mit ihrem Gepäck zum Auto- busbahnhof. Er drückte ihm immer heimlich einen 50 DM-Schein in die Hand. Er machte es noch zwei Jahre! Als es nicht mehr ging, und Clara ihn zum Waschen im Bett nicht mehr allein aufrichten konnte, fuhr Günter um 7.00 Uhr vor seinem Schulbeginn zu Clara und half. Dann war es soweit und er bekam in Spandau ein Einzelzimmer. Clara hat das alles nicht mit bekommem. Er lag im Koma. Die Pralines lagen noch am nächsten Tag auf seinem Tisch, und Clara meinte, sie ließen ihn verhungern.
Claras Mann starb am 9.1.1978 im Krankenhaus Spandau und wurde am 6.2.1978 auf dem evangelischen Luisenkirchenfriedhof II in Charlottenburg, Königin-Elisabeth-Straße 46 in einem 4-Stellen Urnengrab beigesetzt, wo auch schon Claras Mutter Luise ihre letzte Ruhe fand.
Clara hat ihn 10 Jahre überlebt. Dann stürzte sie in der Wohnung und wurde nach zwei Tagen gefunden und kam mit einem Schlüs-selbeinbruch ins Krakenhaus und von dort gleich ins Jungferheide-Heim. Der Vater eines seiner Schüler half Günter Wirth mit der Wohnungsauflösung und der Einrichtung des Zimmers im Heim. Da sie nicht nur fast Taub war, konnte sie nicht die Pflegerinnen ver-stehen und weltfrennt wie sie war, wußte sie nicht, was und wozu ein Zäpchen war. Als sie einmal sagte, sie könne eine ´Tablette´ nicht schlucken und müsse sie mit einem Messer zerkleinern, hat Günter das nicht beachtet und macht sich noch heute den Vorwurf
dass er das nicht beachtete und nachhakte. Das Wachs des Zäpfchens muß ihren Magen mit der Zeit so geschadet haben, dass sie keine Lust mehr am Essen hatte. Günter holte sie jeden Sonntag zu seiner Familie im Erpelgrund 44 ab, wo sie auf der Ofenbank Platz nahm und ab und zu mit Jan Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielte. Seine Frau Ingrid hatte sehr unter ihrem Besuch zu leiden, da sie sich nichts vor nehmen konnte.
Clara wurde eines Tages vom Heim aus in ein Krankenhaus eingeliefert. Günter und Ingrid hatten mit den 2 Kindern eine Reise nach Malta gebucht ünd sprachen mit dem behandelnen Arzt, der meinte, dass wir getrost reisen können, sie wäre gut versorgt. In Malta wacht Günter eines Nachts auf und sagt zu Ingrid, Mutti ist gestorben. Clara hat sich während ihres Ablebens von ihren Sohn verab- verabschiedet. Sie starb am 18.7.1988 und unser Sohn Jussuf (20) hat, weil wir nicht in Berlin waren, alles allein abwickeln müssen.
Sie wurde ebenfalls in dem 4-Stellen Urnengrab im evangelischen Luisenkirchhof II in BerlinCharlottenburg, Königin-Elisabeth-Straße 46 bestattet.
ENDE (Überarbeitet und verbessert am 4.September 2018)